Architektur im Bild
Der französische Architekt Jean Nouvel wies einmal drauf hin, dass jede neue Situation eine neue Architektur verlangt. Womit er sicherlich nicht meinte, dass Architekten das Ei jedes mal neu erfinden müssen, sondern vielmehr, dass sie für jede sich ergebende Aufgabe wieder und wieder nach einer guten Lösung suchen müssten.
Ganz ähnlich ist es in der Architekturfotografie. Jedes Gebäude, jeder Innenraum verlangt eine individuelle fotografische Betrachtung. Die Einbeziehung oder Ausklammerung der Umgebung, die Wahl der richtigen Perspektiven und Ausschnitte, die eingesetzte Brennweite des Objektives und das richtige Licht sind jene Parameter, die darüber entscheiden, ob ein Bild gelingt oder gar etwas Besonderes wird.
Das Wort Fotografie kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet so viel, wie mit Licht malen. Wenn das Licht sanft und zart oder auch hart und klar über Fassaden streicht und in Räume scheint, dann kann es eine Konstruktion, ein ganzes Ensemble und das verwendete Material zum Leben erwecken und die Idee des Architekten sichtbar machen. Le Corbusier hat Architektur deshalb als »das kunstvolle, korrekte Spiel der unter dem Licht versammelten Baukörper« beschrieben. Gelingt es dem Fotografen, das in seinen Fotos einzufangen, dann erhebt sich gute Architekturfotografie über seelenlose Abbildungen im Stil computergenerierter Dateien.
Wäre nicht die Fotografie zu meiner zweitwichtigsten Liebesaffäre geworden, vielleicht wäre ich heute Architekt oder Designer. Die Begegnung mit dem Designtheoretiker Chup Friemert während meines Studiums an der HfBK Hamburg weckte mein Interesse an Design. Architektur und Design faszinieren mich seitdem gleichermaßen, vor allem wegen der Symbiose von Funktion und Schönheit. Von beiden Disziplinen haben wir Fotografen den Grundsatz »form follows function« adaptiert und ihn unserem Medium entsprechend mit »form follows content« übersetzt.
Wie wichtig der Zusammenhang von Funktion und Gestaltung ist, zeigte mir als junger Mensch die Toilettenbürste von Makio Hasuike. Sie ist einfach wunderschön, steht im Museum of Modern Art und war als Student für meine erste eigene Wohnung eines der wenigen bezahlbaren Design-Schmuckstücke. Leider erfüllte sie nur kläglich, wozu sie laut Walter Gropius bei aller Schönheit vor allem entworfen sein müsste: richtig zu funktionieren.
Als Fotograf, der in seinem langen Berufsleben zahlreiche Reportagen für alle großen deutschen Magazine fotografiert hat, in denen Menschen immer eine zentrale Rolle spielten, möchte ich mich nicht darauf beschränken, Architektur und Interieur ausschließlich in der Reinheit der puren und schönen Form abzubilden. Obwohl das Schwelgen in Form und Ästhetik immer ein wunderbarer Ausgleich zu den vielen Sozialreportagen war, die ich in meinem Leben fotografiert habe (www.rolfnobel.de). Wo immer sich die Gelegenheit dazu ergibt und der Auftraggeber es zulässt, fotografiere ich Architektur nicht ausschließlich »pur«, sondern auch in ihrer alltäglichen Nutzung.
Prof. Rolf Nobel